In den fünfziger Jahren hatte Las Vegas neben den Casinos und Frank Sinatra noch eine andere Attraktion zu bieten: die Atomtests der US Army. Tausende von Touristen strömten an den Stadtrand, wenn eine neue Explosion angekündigt war. Mit verheerenden gesundheitlichen Folgen.
In den fünfziger Jahren boomte Las Vegas, die Stadt mitten in der heißen Wüste von Nevada. Gegründet 1905, hatte sie sich zum amerikanischen Spielerparadies und Sündenbabel entwickelt, in der sich Spiel- und Vergnügungssüchtige tummelten, Hotels aus dem Boden schossen und Stars wie Frank Sinatra, Dean Martin und Sammy Davis Junior, bekannt auch unter dem Namen „Rat Pack“ unter der schützenden Hand der Mafia das aus dem ganzen Land angereiste Publikum begeisterten. Und wer ganz schnell eine Heiratsurkunde benötigte – auch dem konnte in Las Vegas geholfen werden.
Doch seit 1951 freute sich die Stadt über eine weitere, wirklich einmalige Touristenattraktion: die Atombombentests der US Army, die etwa 100 Kilometer vom berühmten Strip mit seinen Neonlichtern stattfanden. Denn mitten in der Wüste von Nevada hatte die Armee auf Anweisung von Präsident Harry S. Truman ihr Testgelände für Atomwaffen errichtet.
Die Wüste um Las Vegas bot sich für Atomtests an
Es war die Zeit des Kalten Krieges, und die Amerikaner befürchteten, er könne jederzeit zu einem heißen werden. Seit die verhasste kommunistische Sowjetunion auch über die Atombombe verfügte, hatten die USA ihr Gefühl von Sicherheit und Überlegenheit verloren. Man wollte gerüstet sein für den Fall eines Angriffs. Und forschte daher intensiv an der effektiveren Schlagkraft der Atombombe. Die Wüste von Nevada bot optimale Voraussetzungen dafür: Sie war weitgehend menschenleer, das Land unendlich, die Luftfeuchtigkeit war äußerst gering, der Himmel klar.
Da war eben nur ganz in der Nähe diese Stadt Las Vegas, die sich gerade zu einem der amerikanischen Hot Spots schlechthin entwickelte, zu einem Traumziel vieler Amerikaner, das man mindestens einmal gesehen haben musste oder gar regelmäßig besuchte. Die Stadt selbst verdoppelte ihre Einwohnerzahl in den fünfziger Jahren von 40 000 auf 80 000. 1954 kamen acht Millionen Touristen. Und denen musste etwas geboten werden.
Eine Parade für die erste Bombe
Die Stadtväter waren daher ganz glücklich über die Ansiedlung des Atombombentestgeländes vor ihrer Haustür. Denn die Touristen zeigten eine ungeahnte Begeisterung für das explosive Geschehen in der Wüste. Schon der erste Test mit dem Codenamen Able am 27. Januar 1951 wurde gebührend mit einer Musik-Parade gefeiert, an der auch junge Damen, gehüllt in einen nachgebildeten Atompilz, teilnahmen. Anschließend warf ein B-50-Bomber einen atomaren Sprengsatz in einer Höhe von 323 Metern über dem Testgelände ab. Er hatte eine Stärke, die der gemeinsamen Kraft der Atombomben entsprach, die die Amerikaner im August 1945 über den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki abgeworfen hatten.
In der Regel fand in den kommenden zwölf Jahren alle drei Wochen ein Test statt. Rasch entwickelten sich diese Tests zu Events. Touristen und Einheimische fuhren in die Wüste, veranstalteten Picknicks und sahen in etwa 100 Kilometer Entfernung die Explosion. Sie hörten den Lärm, fühlten die Erschütterung (die teilweise noch im 643 Kilometer entfernten San Francisco zu spüren war) – und sie waren völlig schutzlos dem atomaren Niederschlag in Form von Staubpartikeln ausgesetzt.
Den Behörden war natürlich bewusst, wie gefährlich die Bombe war, doch hatten sie noch wenig Erkenntnisse über mögliche Langzeitwirkungen. Die US Army brachte LKW-Ladungen voll Soldaten direkt zum Testgelände. Sie sahen sich die Explosionen aus elf Kilometer Entfernung an - ohne jede Schutzkleidung. Ihnen wurde lediglich geraten, nicht direkt in die Explosion zu schauen, weil das für die Augen schädlich sei. Kein Wunder, dass unter ihnen später die Krebsrate deutlich erhöht war.
„Uns wurde versichert, dass es völlig ungefährlich sei“
Die Armee ließ auch zu, dass die Bevölkerung und überhaupt die Stadt Las Vegas in den Bereich des atomaren Fallouts kam. Experten registrierten den Niederschlag auf Autos, Häusern, Bäumen. Die Menschen beruhigten sie mit dem Ratschlag, sie sollten sich doch vielleicht kurz abduschen, wenn sie das Gefühl hätten, atomarem Fallout ausgesetzt worden zu sein. Und die ahnungslosen Leute glaubten das. 2012 erzählte Gail Andress, ein Einwohner von Las Vegas, einer örtlichen Zeitung: „Wir fuhren frühmorgens raus und sahen uns das Ereignis an. Es sah aus, als ging die Sonne noch einmal auf. Uns wurde versichert, dass es völlig ungefährlich sei. Es war wirklich interessant. Es war eine Attraktion“.
Man könnte meinen, die Einwohner von Las Vegas hätten gegen die Tests demonstriert. Doch das stimmt nicht. Es gab nur ganz wenige, die gegen den radioaktiven Staubregen auf ihre Stadt etwas tun wollten. Neben der Ahnungslosigkeit über die Gefahren hatte das zwei Gründe: erstens gab es Menschen, die gerade wegen des nahen Testgeländes nach Las Vegas zogen, weil sie dort arbeiteten; sie hätten also gegen ihren Arbeitsplatz demonstrieren müssen. Längst nicht jeder neue Bewohner zog nach Las Vegas, weil er als Kellner, Groupier oder Hotelangestellter hier arbeitete.
Bomb Parties waren der letzte Schrei
Und zweitens empfand die Stadt die Bombe als Geschenk des Himmels. Davor sollte man Angst haben? Die Handelskammer druckte Kalender mit den anstehenden Bombentests, damit die Touristen Bescheid wussten, wann sie anreisen mussten. Hotels veranstalteten als letzten Schrei „Bomb Parties“ und servierten „Atomic Drinks“. Es wurde sogar eine „Miss Atomic Bomb“ gekürt. Es gab Bücher wie „Atomic Cocktails: Mixed Drinks für moderne Zeiten“. Der typische Atompilz wurde geradezu Teil des Stadt-Marketings und Las Vegas selbst nannte sich gerne auch „Atomic City“. „Die Bombe war das Beste, was Las Vegas passieren konnte“, urteilte Benny Binion, ein Casino-Besitzer, der es wissen musste.
Die Party endete 1963. Damals vereinbarten Washington und Moskau ein Verbot von überirdischen Atomwaffentests. 100 Mal hatte die US-Army in der Wüste von Nevada überirdisch die Bombe getestet; die nächsten 828 Tests fanden unter der Erde statt. 1992 war auch damit Schluss.
Heute erinnert am Stadtrand von Las Vegas ein Museum an die damalige Zeit. Längst gibt es auch Proteste aus der Bevölkerung. Als vor Jahren in der Nähe der Stadt ein Atomendlager gebaut werden sollte, verhinderte der damalige Präsident Barack Obama das. Die Folgen der Tests sind noch heute allenthalben zu sehen. In der Wüste finden sich zahlreiche Krater, der größte misst 396 mal 97 Meter. Die Folgen für die Menschen, die dem Fallout schutzlos ausgesetzt waren, sind weitaus dramatischer. Viele ehemalige Soldaten und Anwohner erkrankten an Leukämie, eine tödliche Krankheit, die durch radioaktive Bestrahlung ausgelöst wird. Die US-Regierung legte später ein Programm zur Unterstützung der Betroffenen auf. Soldaten erhielten 75.000 Dollar, Zivilisten 50.000. Wie viele Menschen Opfer des Leichtsinns, der in den fünfziger Jahren herrschte, wurden, ist nicht bekannt, aber zweifellos handelt es sich um viele tausende.
Author: Kevin Cooper MD
Last Updated: 1702382522
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